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KAPITEL

1. Einleitung
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2. Kakaniens Erbe(n)
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3. Hans Natonek (1892-1963)
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4. Anhang
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Markus Kreuzwieser:
Von Prag bis Tucson - Die vielen Leben des Hans Natonek


Hans Natonek zog den Roman zudem auch selber zurück, da der Reiseschriftsteller Richard Katz (1888-1968) sich in der Figur des Dowidal zu erkennen meinte und bei Ullstein intervenierte. Natonek formuliert in Tucson rückblickend:

"In einer frei erfundenen Romanhandlung schilderte ich einen dunklen Charakter, einen unerbittlichen Rächer seiner Erniedrigung. Ich kehrte sein Innerstes nach außen und mischte tatsächliche mit imaginären Zügen. Die Wirkung war ebenso verblüffend wie verheerend. Der Mann schrie auf, identifizierte sich mit der Figur und schwor, daß er nicht eher ruhen werde, bis das Buch und sein Verfasser vernichtet seien. Es war, als trete das Bild aus seinem Rahmen und als ob die Reaktion der Wirklichkeit die Richtigkeit meiner Geschichte beweise [...] Es war ein erschreckender, gespenstischer Vorgang. Ich hatte einen Höllenprinzen dargestellt, und das Original, anstatt zu lächeln: 'Das bin ich nicht', reklamierte sogar die erfundenen Züge für sich. Ich begann mich vor meinem eigenen Geschöpf zu fürchten [...] Mein Buch war nicht als 'Mausefalle' geplant, wie Hamlets kleines allegorisches Theaterspiel, in dem sich das Gewissen des Oheim-Mörders fängt. Um so bestürzender [!] war ich über die unbeabsichtigte Wirkung." (Serke 1987, 108 f.)

Aufgabe:

Was meinen Sie? Holt die Wirklichkeit die Fiktion ein oder kann Literatur (Fiktion) Wirklichkeit so intensiv gestalten, dass selbst "Erfundenes" in der Realität Entsprechungen findet, die der Dichter gar nicht im Auge hatte?

Wirklichkeit holt Fiktion ein
Fiktion hat Entsprechungen in der Realität

Hans Natonek verarbeitete in all seinen Texten seine politisch-berufliche Situation im Nationalsozialismus sowie seine persönlichen Krisen dieser Zeit. Vor allem in dem erst 1982 aus dem Nachlass publizierten Roman "Die Straße des Verrats" wird dies besonders deutlich. Hauptfigur ist der jüdische Journalist Peter Nyman, dessen Ehe in dem Augenblick zerbricht, als seine berufliche Existenz durch die Nationalsozialisten zerstört wird. Gleichzeitig thematisiert Natonek das Versagen der freien Presse und die Kapitulation der Demokratie vor Hitler aufgrund der Unentschlossenheit, denn "aus lauter Nicht-Entscheidungen besteht das Leben" seiner Romanfiguren. "Natoneks Stärke liegt", meint Wolfgang U. Schütte, der Herausgeber des Romans, "in der Unmittelbarkeit der Widerspiegelung politischer Reaktionen und Haltungen im deutschen Bürger- und Kleinbürgertum der frühen dreißiger Jahre. Das Buch will als Zeitdokument gelesen und verstanden werden." (Natonek 1982, 371, Nachwort)

Die Verbindung von Privatem und Politischem wird im Roman programmatisch formuliert: "Im Kleinen geschieht, was im Großen geschieht, und alles hängt zusammen. Der allgemeine Irrsinn ringsum hatte sein exakt mikroskopisches Abbild in dem privaten Geschehen." (Natonek 1982, 254)

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