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KAPITEL

1. Prozesse des Vergessens und Erinnerns am Beispiel der "Hasenjagd" Ein Vergleich zwischen Film und Literatur
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2. Elisabeth Reichart: Februarschatten. Roman
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3. Prozesse des Vergessens und Erinnerns am Beispiel des Films "Hasenjagd" (1994) von Andreas Gruber. Ein Vergleich zwischen Film und Literatur
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4. Anhang
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Herbert Staud:
Formen der Erinnerung - Gedächtnisarbeit


"Hilde lief weg. Sie musste Hannes suchen. Nur Hannes konnte diese Schatten vertreiben. Hannes, dessen schmale Gestalt keinen Schatten warf. In der Allee war es auf einmal still um sie. Die Sirenen hatten aufgehört zu heulen. Nur noch die Scheinwerfer durchbrachen die Nacht. Mondstille. Kalte Stille. Da hörte sie ein Lachen, wie sie es noch nie gehört hatte. Es war Jubel und es war Schrecken in ihm. Es glich den Sirenen. Diesem Lachen musste sie folgen. Sie schlich zur Scheune. Aus der es kroch. Schlich in die Scheune. Sah, wie das Blut auf den Pesendorfer spritzte. Sah in der Hand von Frau Emmerich eine Heugabel Sah, wie sie mit dieser Heugabel gegen eine auf dem Boden liegende Gestalt schlug. Gegen eine Gestalt, wie Hilde sie noch nie gesehen hatte. Gegen dieses knochige Gesicht. In dem sich die Haut spannte. Dann sah sie weg. Sah weg, als die Heugabel zustach. Sah weg von dem anderen unter den Stiefeln des Pesendorfer. Sah weg von ihrem Bruder Walter, der an die Scheunenwand gelehnt stand. Einen Flüchtling hielt, den er nicht loslassen durfte. Sonst wäre der Flüchtling zusammengebrochen. [...]"

Arbeitsaufgabe 2

Aufgabe:

Gehen Sie nun erneut zum ARBEITSBLATT und beantworten Sie dort die Fragen. Rufen Sie, bitte, dazu wieder Ihr schon gespeichertes Arbeitsblatt von dem von Ihnen gewählten Speicherplatz auf. Vergessen Sie nicht, Ihre Arbeitsergebnisse im Anschluss wieder unter demselben Filenamen auf Ihrem PC oder Ihrer Diskette zu speichern. Vergleichen Sie anschließend Ihre Ergebnisse mit dem Originaltext Elisabeth Reicharts im Praxisfeld:

Es folgt nun eine zentrale Stelle des Werkes. Zerrissen zwischen dem Blick auf das Grauen und dem Wunsch, in der Macht Wärme, Geborgenheit und Aufgehobenheit zu finden, entsteht der Wunsch nach dem Vergessen. Gewisse Worte gehen Hilde aber nicht aus dem Kopf.

"Hilde bekam Kopfweh. Sie schlich zurück in die Allee. Von dem Dorf kamen Menschen herauf. Bewaffnet mit Dreschflegeln. Mit Gartenwerkzeug. Auf Bäumen fanden sie Geflohene. Im Schnee fanden sie Halbtote. Überall fanden Menschen Menschen. Nur Hilde wurde von niemandem gefunden. Sie, die nichts mehr wollte. Als gefunden werden. Damit es ein Ende hatte. Mit den verbotenen Gedanken. Mit der Schuld. Deutschland verraten zu haben. Es weiterhin verraten zu müssen. Weil die Bilder blieben. Weil die Worte sie nicht bannen konnten. Diese Körper. Unbewaffnet. Hilflos. Zerbrechlich. Endlich sprang ein Wort aus dem Schatten. Stand ein Wort deutlich lesbar im Schnee. Waren die Wörter wieder aufgreifbar durch ein rettendes Wort: vergiss! [...] Sie ging mit dem Wort nach Hause. Ging mit dem Wort in das Haus. Ging mit dem Wort in ihr Zimmer. Hannes war oben. Der gute Hannes war da. Hannes, an den sie sich lehnen konnte. Aber Hannes war nicht mehr ihr Hannes. Hannes verstand nicht. Stieß sie weg. Stieß sie zurück zu ihrem Wort. Gab ihr zwei neue Wörter dazu: 'Du auch!' Tränende Augen. Zuckende Lippen. Dann nahm er sie doch wieder in seine Arme. Legte sie in ihr Bett. Deckte sie zu. Hannes begann auf Hilde einzureden. Leise. Er hätte einen Flüchtling im Schrank versteckt. Niemand hätte ihn gesehen. Er sei ganz sicher. Monika und Frau Kals seien bei der Mutter in der Küche. Die anderen seien noch auf Menschenjagd. Das Wort veränderte das Gesicht. Hilde erschrak. Hannes schüttelte sie wieder. Zwang sie, ihm zuzuhören. Sie müsste ihm helfen, Essen für den Flüchtling zu besorgen. Verbandsmaterial. Der Versteckte hätte ein Schussverletzung im rechten Oberarm. Hilde sollte im Lazarett helfen. So könnte sie unauffällig alles Notwendige besorgen. Als Hannes das Wort hörte, das Hilde ihm geben wollte, wurde er böse. Wie sie nur so dumm sein könne. Sie würde doch nicht wirklich glauben, dass sie diese Nacht jemals vergessen könnte. Oder würde sie sich auch von den großen Worten des Pesendorfer beeindrucken lassen? 'Jeder', sagte er dann, 'der nichts gegen diese Menschenjagd tut, macht sich schuldig. Hörst du. Jeder! Auch du.' [...]"

Gewisse Worte bringt Hilde nicht aus ihrem Kopf, manche will sie nicht wahrhaben. Um dies deutlich zu machen, wendet Elisabeth Reichart in den letzten sieben Absätzen drei Arten der Redewiedergabe an: die direkte Rede, den Konjunktiv I und den Konjunktiv II.

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