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KAPITEL

1. Lebensphasen
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2. Kramers 'klassische Periode', 1927 bis 1939 - Besonderheiten seines Exilschicksals
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3. Gescheiterte Rückkehr
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4. Anhang
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Konstantin Kaiser:
Theodor Kramer (1897-1958)


Eigenartig am Bericht Brassloffs ist, dass er mit keinem Wort die vorangegangene Internierung Kramers erwähnt, die sich gewissermaßen vor seinen Augen abgespielt haben muss. Obwohl auch prominente Sozialisten wie der Philosoph Otto Neurath und der Journalist Alfred Magaziner von der Internierung betroffen waren, scheinen die führenden österreichischen Sozialisten in Großbritannien, durch ihre Kontakte zur Labour Party und offiziellen Stellen selbst vor der Internierung geschützt, von dem Problem der Internierungen wenig betroffen gewesen zu sein, wie sie überhaupt den Problemen der Massenemigration nur wenig Aufmerksamkeit schenkten. Dies dürfte für die Isolation der Sozialisten im britischen Exil entscheidend gewesen sein. Statt sich auf die in den Lagern geknüpften Kontakte stützen zu können, hatten sie sich vielmehr mit einem zumindest stummen Vorwurf der Internierten und ihrer Angehörigen auseinander zu setzen. So scheint es, dass sich für Theodor Kramers Entlassung aus der Internierung eher noch die das Austrian Centre tragende Association of Austrians eingesetzt hat als seine sozialdemokratischen Parteigenossen. (vgl. Lafitte 1988, 80)

Neurath, Otto zeigen
Neurath, Otto zeigen

In Francois Lafittes "The Internment of Aliens. New edition with an introduction by the author" wird in dem Kapitel "Who was Interned, and How it was Done" auf Seite 80 Kramer als "lyrical poet of outstanding quality" angeführt; der Gewährsmann oder vielmehr die Gewährsfrau für die Angaben in diesem Kapitel ist aber Eva Kolmer, gewissermaßen die Generalsekretärin des kommunistisch beeinflussten Austrian Centre.

Kolmer, Eva zeigen

Die Lage, in der sich Theodor Kramer nach der Internierung in Wolverhampton befand, scheint wenig beneidenswert. Er ist arbeitslos, unterliegt der Meldepflicht und der Ausgangssperre und darf nur mit polizeilicher Genehmigung nach London reisen. Bei einem Verstoß gegen die ihm auferlegten Beschränkungen drohte die neuerliche Internierung. Als Kramer zu dem am 11. September 1941 in London stattfindenden P.E.N.-Kongress eingeladen wurde, ergriff er die Gelegenheit, in London zu bleiben. Joseph Kalmer unterstützte ihn, indem er ihm "parttime work" verschaffte. (vgl. Brief an Gretl Oplatek, Wolverhampton, 26.10. 1942)

In dieser Zeit muss sich der intensivste Kontakt zu jungen österreichischen Exilierten entwickelt haben. Einer von ihnen, der Journalist und Schriftsteller Arthur West, meint, Theodor Kramer habe damals fast alle jungen Lyriker beeinflusst, ohne sich um ihre Produktion zu kümmern. Oft sei Theodor Kramer bei ihnen, bei West und seiner Frau Edith, eingeladen gewesen. Dass er 1941-43 wiederholt den Lieblingsgedanken geäußert habe, einen Gedichtband über "Suff und Fraß, Schlaf und Beischlaf" zu schreiben, hätte befremdet. Absonderlichkeiten seien ihm jedoch wegen seiner Leistungen verziehen worden - Theodor Kramer stand für einen, der Österreich "gefunden" hatte: "Er war schon das, was wir sein wollten." Für das Gros der jungen jüdischen Emigranten aus Wien habe Österreich außerhalb Wiens nur als Sommerfrische existiert, Theodor Kramer "war erste Berührung mit Landluft", "war fast eine Umkehrung von Blut und Boden". Bei Theodor Kramer wirke selbst in den "weinerlichen Gedichten" ein "Stückchen Kraft", er habe ein Österreich gezeigt, auf das man noch Vertrauen habe können. Kramer strahlte für West, könnte man sagen, die Robustheit eines unzerstörbaren "Unten" aus. Man habe, in der Emigration, eine Assimilation an Österreich gesucht; und die meisten seien erstmals auf die Tatsache gestoßen, dass es nicht nur Bildungsbürgertum in Österreich gebe. "Sie kannten nur das Kaffeehaus, nicht das Wirtshaus." Auch er selbst, Arthur West, habe Gedichte in der Art Kramers geschrieben und publiziert. (vgl. Gespräch Konstantin Kaisers mit Arthur West in dessen Wohnung, Wien, 1.7. 1983)

Auch einige frühe Gedichte Erich Frieds sind in der Manier Theodor Kramers geschrieben.

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