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KAPITEL

1. Ein Klassiker der Moderne
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2. "Prägungen"
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3. Grundlageninformationen
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4. Die Figur des Zacharias in "Methodisch konstruiert"
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5. Literarischer Text und soziologische Studie
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6. Anhang
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Markus Kreuzwieser:
Der "Weg vom Schäbigen ins Ewige". Zu Hermann Brochs "Methodisch konstruiert"


"Das Vorhandensein einer Frau war ihm, im Grunde genommen, eine unvorstellbare Angelegenheit; wenn ihm auch beim Bilde der zukünftigen Hausfrau gewisse erotische Schwaden durchs Gehirn zogen und etwas in ihm meckerte, daß er deren Unterkleidung mit allen Fleckchen und Löchern so genau kennen werde wie seine eigene, wenn ihm also jenes Weib einmal als Mieder, einmal als Strumpfband angedeutet wurde - eine Illustrationsaufgabe für den damals sich entfaltenden Expressionismus -, so war es ihm andererseits undenkbar, daß ein konkretes Mädchen oder Weib, mit dem man normale Dinge in normaler Syntax besprechen könnte, irgend eine sexuelle Sphäre hätte. Frauen, die sich mit derlei beschäftigten, standen völlig abseits, keinesfalls niedriger als jene, aber in einer völlig andern Welt, in einer, die mit der, in der man lebte, sprach und aß, nichts gemein hatte: sie waren einfach anders, sie waren Lebewesen fremdester Konstitution, die für ihn eine stumme oder zumindest unbekannteste und irrationale Sprache redeten. Denn, wenn man zu diesen Frauen gelangte, so vollzog sich das Restliche mit sehr zielbewußter Fixheit und niemals wäre es ihnen beigefallen, sich etwa über Staubtücher - wie seine Mutter - oder über diophantische Gleichungen - wie die Kolleginnen - zu unterhalten. Es erschien ihm daher unerklärlich, daß es je einen Übergang geben könne von diesen rein objektiven Themen zu den subjektiveren der Erotik; es war ihm dies ein Hiatus, dessen Entweder-Oder (ein Urquell allen Sexualmoralismus) überall auftritt, wo erotische Unsicherheit herrscht und demgemäß auch als der Anlaß zur künstlerischen Libertinage der Epoche genommen werden darf, nicht zuletzt als der zu dem spezifischen Hetärismus, in dem ein großer Teil ihrer Literatur exzellierte. In der sonst so ungebrochenen Weltgegebenheit des Zacharias klaffte hier ein Riß, der also unter Umständen den sonstigen Automatismus seines Handelns in eine Art menschliche Entscheidungspflicht verwandeln könnte. Vorderhand geschah natürlich nichts dergleichen. Bald nach dem Examen erhielt Zacharias eine Supplentenstelle zwecks pädagogischer Wirksamkeit zugewiesen, und er begann das nunmehr abgeschlossene, säuberlich abgeschnürte und handliche Paket seines Wissens in kleine Paketchen zu zerlegen, die er an die Schüler weitergab, auf daß er sie von diesen in Gestalt von Prüfungsergebnissen zurückverlagen könne. Wußte der Schüler nichts zu antworten, so bildete sich in Zacharias die, wenn auch nicht klare, Meinung, jener wolle ihm sein Leihgut vorenthalten, schalt ihn als verstockt und fühlte sich benachteiligt. Auf diese Weise wurde ihm jedes Klassenzimmer, in dem er unterrichtete, zum Aufbewahrungsort für ein Stück seines Ichs, gleichwie der Schrank in seiner kleinen Mietskammer, der seine Kleider beherbergte, denn auch diese Kleider hatten als Teile selbigen Ichs zu gelten. Fand er in der Tertia seine Wahrscheinlichkeitsrechnung vor, zu Hause im Waschtisch seine Schuhe, so fühlte er sich unzweideutig der Umwelt gegeben und verknüpft." (Hermann Broch: Die Schuldlosen. Kommentierte Werkausgabe Band I/5, 34 f.)

Zur Vorbereitung auf die Beantwortung der kommenden Fragen lesen Sie noch die folgenden Informationen:

Kleinbürger(tum): bürgerliche Mittelschicht, die seit Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutschland durch Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage ständig vom Absinken ins Proletariat bedroht war, während sie sich in ihrem Verhalten am wohlhabenderen Bürgertum orientierte. Dadurch ergab sich ein Lebensstil, der oft unecht wirkte ("aufgesetzt" war), weil die materiellen Mittel für den Anspruch nicht reichten. Für die Lebens- und Erziehungsorientierung waren Normen wie Ordnung, Pünktlichkeit, Sauberkeit ("des Gemüts"!) und Untertanenhaltung gegenüber Höhergestellten maßgeblich. Als große politisch unentschlossene Gruppe war das Kleinbürgertum in Deutschland immer eine problematische Zwischenklasse. Eigentlich sollten die breiten Mittelschichten die Demokratie tragen. Zweifrontenschicht

Kleinbürgertum zeigen

Aufgabe:

Wechseln Sie nun wieder in das ARBEITSBLATT, um weitere Fragen (Fragen 2.5. und 2.6.) zu beantworten. Rufen Sie, bitte, dazu wieder Ihr schon gespeichertes Arbeitsblatt von dem von Ihnen gewählten Speicherplatz auf. Vergessen Sie nicht, Ihre Arbeitsergebnisse im Anschluss wieder unter demselben Filenamen auf Ihrem PC oder Ihrer Diskette zu speichern.

Broch entwirft im weiteren Verlauf von Methodisch konstruiert eine Beziehung zwischen Zacharias und der Tochter seiner Vermieterin, die er wie folgt einführt:

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